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Das Evangelium tun und verkünden: Wie Christen künftig Kirche gestalten
28. Juni 2023
Die großen Herausforderungen der kirchlichen Entwicklung unserer Zeit nahm das erste Oldenburger Zukunftsforum in den Blick: Wie geht es weiter, wenn alles anders wird? Was ist unser Auftrag in einer radikal veränderten Gesellschaft? Etwa 120 Interessierte aus allen Teilen des Offizialatsbezirks kamen, hörten und diskutierten – und fuhren mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme und zukunftsweisenden Impulsen wieder nach Hause.
Oldenburg/Oldenburger Land. Engagierte Christinnen und Christen gestalten die Zukunft der Kirche vor Ort: Das war eine der Hauptbotschaften auf dem ersten Oldenburger Zukunftsforum zur Kirchenentwicklung. Etwa 120 Teilnehmende aus der katholischen Kirche im Oldenburger Land erlebten jetzt eine konstruktive Bestandsaufnahme, ungeschönte Diagnosen und vorwärtsgerichtete Impulse: Wie verändern sich Kirche und Gesellschaft in Zeiten von Individualisierung und Säkularisierung? Und wie können Christen ihrem Auftrag auch in Zukunft in einer veränderten Gesellschaft gerecht werden?
Passenderweise fand das Zukunftsforum am Hochfest von Johannes dem Täufer statt, einem „Menschen zwischen Altem und Neuem Testament, einem Zeugen des Übergangs“, wie Weihbischof Wilfried Theising bei der Begrüßung der Teilnehmenden sagte. Klar wurde auf dem Oldenburger Zukunftsforum dann auch: Kirche wandelt sich – und alle Gläubigen sind eingeladen und aufgerufen, an der Zukunft der Gemeinschaft der Christen mitzubauen.
„Nach den bekannten Parametern wird die Kirche anders“, sagte Dr. Markus Wonka, Leiter der Abteilungen Seelsorge und Seelsorge-Personal im Bischöflich Münsterschen Offizialat, zur Eröffnung. Auch wenn es künftig weniger Priester, Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten geben werde und die Zahl der Kirchenmitglieder sinke: Es geht nicht um die Abwicklung von Kirche, sondern um eine Entwicklung der Gemeinschaft der Gläubigen. „Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit“, betonte Wonka unter Verweis auf den Heiligen Ignatius von Loyola. Er ermutigte die Gläubigen, sich nicht gegen gesellschaftliche Trends wie Glaubensschwund und Individualisierung zu stemmen, sondern den Wandel aktiv zu gestalten, Hoffnung zu säen und Perspektiven aufzuzeigen: „Es kommt auf uns alle an, das ‚Mehr‘ an Verantwortung, Freiheit und Gestaltungsspielraum in unserer Kirche zu nutzen“, so Wonka.
Jan Loffeld war als Referent zum Oldenburger Zukunftsforum gekommen, um mit den Teilnehmenden eine Bestandsaufnahme kirchlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen vorzunehmen. Der Priester des Bistums Münster ist Professor für Praktische Theologie an der Tilburg School of Catholic Theology im niederländischen Utrecht. Anhand gesellschaftswissenschaftlicher Untersuchungen zeigte Loffeld, dass bereits seit den 1950er Jahren die Gesellschaft weniger gläubig werde. Damit würden sich auch in jeder Generation immer mehr Menschen von der Kirche distanzieren.
Auch kirchliche Reformen könnten diese Trends nicht aufhalten, so Loffeld. Vielfach werde versucht, das Bestehende „zu optimieren“, statt den grundsätzlichen Umbruch – Loffeld sprach von „Transformation“ – zu akzeptieren und zu gestalten. Der Experte warnte daher: Mit Reformen an Strukturen alleine sei die erforderliche Transformation nicht zu erreichen. Vielmehr müsse sich die Kirche auf ihren Kern konzentrieren: die „Erzählung von Hoffnung und Heil“. Schuldzuweisungen für den kirchlichen Wandel seien hingegen fehl am Platze.
Wenn Kirche sich grundlegend ändert, was bleibt dann bestehen? Die „Verwirklichung des Evangeliums“, nicht die „Stabilisierung von Kirche“ sei der Grundauftrag von Christen, betonte Hans Hobelsberger, zweiter Hauptreferent des Tages. Der Pastoraltheologe ist Rektor der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen „katho“ mit Standorten in Münster, Paderborn, Köln und Aachen. Die Aufgabe der Kirche sei es, Personal und Ressourcen so einzusetzen, „dass das Evangelium und die menschliche Existenz sich begegnen können“. Es bleibe wichtig, dass Seelsorge in der Fläche präsent bleibe, um Verantwortung für alle Menschen zu übernehmen.
Es gehe aber nicht darum, alle und jeden anzusprechen – sondern für alle ansprechbar zu sein. Auch „ein Bushäuschen kann daher ein Ermöglichungsraum von Kirche“ sein, spitzte Hobelsberger zu, denn: „Kirche ist dort, wo die Liebe Gottes zu den Menschen verwirklicht wird“. Vor diesem Hintergrund sei es wichtig, dass Reformen von kirchlichen Strukturen „unserer Sendung“ dienten.
Die Zukunft der Seelsorge stellt Hobelsberger sich so vor: Engagement für Arme und Hilfsbedürfte sei wichtiger als Events nur in den Gemeinden; „das Evangelium zu tun ist wichtiger, als über das Evangelium zu reden“ – und: wichtiger sei, sich für die Präsenz des Evangeliums in Gesellschaft und Öffentlichkeit zu engagieren als sich innerhalb der Gemeinde mit sich selbst zu beschäftigen.
Was macht das Gehörte mit mir? Welche Anregungen und Reaktionen gibt es bei uns? Was macht das eigene Engagement zurzeit schwer? – Reflektion und engagierte Diskussion stand im Mittelpunkt der fünf Kleinforen. Hier konnten sich die Teilnehmenden wiederholt über die Grenzen ihrer eigenen Pfarrei hinweg austauschen.
Auf dem Abschlusspodium machte Wonka klar, dass die derzeit zu entwickelnden Pastoralen Räume lediglich „ein Rahmen“ für diese inhaltlichen Fragen der Kirchenentwicklung seien. Dass Christen bald in der Minderheit in Deutschland seien, müsse nicht problematisch sein, so Wonka: „Nicht alle müssen Christen sein, aber überall muss das Evangelium antreffbar sein!“ Jan Loffeld wiederum motivierte: „Machen wir das Stigma ‚Wir sind wenige‘ zum Charisma, zu unserer Stärke!“
Wie aber könnte die Geschichte von Hoffnung und Heil klingen, die Christen in einer veränderten Gesellschaft erzählen können oder sollen? Das wollte eine Teilnehmende von Jan Loffeld wissen. Seine Antwort: „Das will ich ihnen nicht vorgeben. Diese Geschichten von Hoffnung und Heil erzählen Sie!“
Zum Abschluss der Veranstaltung zeigte sich Johannes Wilhelm Vutz, Leiter des Referats Pastoralentwicklung und theologische Grundlagenarbeit im Offizialat und Organisator des Zukunftsforums sehr zufrieden: „Das Zukunftsforum ist einer von vielen Bausteinen der Kirchenentwicklung im Oldenburger Land in den nächsten Jahren. Unser Anliegen für diesen Tag war, die anstehenden kirchlichen Entwicklungen nicht nur als Abbruch, sondern im besten Fall als glaubwürdige Aufbruchgeschichten zu erfahren. Wenn Teilnehmende des heutigen Tages mit diesem Eindruck nach Hause fahren, können wir sehr dankbar sein und diesen Impuls in die Überlegungen für ein nächstes Zukunftsforum mitnehmen.“
Text und Fotos: Philipp Ebert