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Wort zur Weihnacht 2024

24. Dezember 2024 - Oldenburger Land

von Offizial und Weihbischof Wilfried Theising, Vechta

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Alle Jahre wieder – Weihnachten steht vor der Tür. Wir sehen den geschmückten Baum und spüren das besondere Leuchten dieser Tage. Doch Weihnachten ist mehr als Tradition und Nostalgie. Es ist ein unfassbares Geheimnis: Gott wird Mensch.

Die Menschwerdung Gottes ist eines der zentralen und zugleich tiefsten Geheimnisse des christlichen Glaubens. Weihnachten feiern wir und erinnern uns daran, dass Gott in der verletzlichen Gestalt eines Kindes in einer Krippe Mensch wurde. Doch dieses Ereignis erschließt sich nicht in einer romantischen Betrachtung als Fest der Familie in beschaulicher Atmosphäre. Die Menschwerdung Gottes ist eine radikale Provokation, die Fragen aufwirft, welche die Welt bis heute herausfordern.

Die erste und vielleicht naheliegendste Frage lautet: Warum sollte ein allmächtiger Gott Mensch werden wollen? Die Vorstellung eines ewigen Wesens, das sich der Begrenztheit von Zeit, Raum und menschlicher Existenz unterwirft, scheint absurd. Warum sollte Gott den Schmerz, die Verletzlichkeit und die Sterblichkeit des irdischen Daseins auf sich nehmen? Die Antwort liegt im Kern der christlichen Botschaft: Liebe. Die Hinwendung Gottes zum Menschen ist Ausdruck einer Liebe, die bereit ist, alle Grenzen zu überschreiten, um Gemeinschaft mit den Menschen zu haben.

Diese Liebe ist keine abstrakte Idee. Sie zeigt sich in der Hingabe und Selbstentäußerung. In einer Welt, die vielfach von Machtstreben, Selbstdarstellung und egoistischen Zielen geprägt ist, stellt die Menschwerdung Gottes eine Gegenbewegung dar. Sie fordert uns auf, unser Verständnis von Größe und Stärke zu hinterfragen: Könnte es sein, dass wahre Größe nicht in Macht, sondern in der Fähigkeit zur Liebe und Hingabe liegt?

Das Geheimnis der Weihnacht sagt nicht nur etwas über Gott aus, sondern auch über den Menschen. Indem Gott selbst ein Mensch wird, erhebt er die menschliche Natur zu einer unvergleichlichen Würde. Jeder Mensch, unabhängig von Herkunft, Status oder Leistung, wird durch dieses Ereignis als unendlich wertvoll anerkannt.

Diese Botschaft ist in einer Welt, die oft den Wert eines Menschen an Nützlichkeit, Produktivität oder sozialem Status bemisst, zutiefst herausfordernd. Sie widerspricht einer Logik, die Schwache ausgrenzt, Benachteiligte ignoriert oder Menschenleben als bloße Ressourcen behandelt. Die Menschwerdung stellt uns die Frage: Leben wir entsprechend dieser Würde, die jedem Menschen innewohnt? Und wie gehen wir mit denen um, deren Würde wenig Achtung erfährt – den Gewaltopfern, Geflüchteten und Ausgebeuteten und mit allen, die am Rande stehen?

Auch ist die Menschwerdung mehr als ein historisches Ereignis. Sie fordert uns im Hier und Jetzt heraus: Was bedeutet es, an einen Gott zu glauben, der sich in Jesus so nahbar und verletzlich gemacht hat? Ein Gott, der nicht in entfernter Herrlichkeit bleibt, sondern das Schicksal der Menschen teilt, ist kein Gott der bequemen Antworten, sondern jemand, der Fragen stellt: Wie leben wir unsere Beziehungen? Sind wir bereit, uns ebenso verletzlich zu machen, damit Liebe, Versöhnung und Frieden möglich werden?

Die Geburt Jesu in einem einfachen Stall ist zugleich eine politische Botschaft. Gott wählt nicht den Palast, sondern die Armut. Er solidarisiert sich mit den Ausgegrenzten und Schwachen. Diese Entscheidung stellt die herrschenden Werte unserer Welt in Frage. Wenn Gott sich mit den Geringen identifiziert, können Christen dann angesichts sozialer Ungerechtigkeiten und unterdrückender Machtstrukturen schweigen?

Weihnachten birgt ein Geheimnis, das uns nicht zwingt, sondern einlädt. Gottes Menschwerdung liefert keine fertigen Antworten, sondern stellt offene Fragen, die uns dazu herausfordern, unser Leben und unsere Welt mit anderen Augen zu betrachten. In allem dürfen wir gewiss sein, Gott ist nicht fern, er ist ganz nah. Und er ist Liebe. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern die konkrete Erfahrung dieser Liebe und den Mut, sich auf die mit der Menschwerdung verbundenen Fragen einzulassen. Nicht nur in den kommenden Tagen, sondern stetig und alle Jahre wieder. Frohe Weihnachten und ein gesegnetes neues Jahr 2025!